“Als Großmutter im Regen tanzte” von Trude Teige

Eine star­ke Frau in dunk­len Zei­ten. Und eine jun­ge Frau, die zurück­schau­en muss, um nach vorn bli­cken zu können.
Als Juni ins Haus ihrer ver­stor­be­nen Groß­el­tern auf der klei­nen nor­we­gi­schen Insel zurück­kehrt, ent­deckt sie ein Foto: Es zeigt ihre Groß­mutter Tek­la als jun­ge Frau mit einem deut­schen Sol­da­ten. Wer ist der unbe­kann­te Mann? Ihre Mut­ter kann Juni nicht mehr fra­gen. Das Ver­hält­nis zwi­schen ihrer Mut­ter und ihrer Groß­mutter war immer von etwas Unaus­ge­spro­che­nem überschattet.
Die Suche nach der Wahr­heit führt Juni nach Ber­lin und in die klei­ne Stadt Dem­min im Osten Deutsch­lands, die nach der Kapi­tu­la­ti­on von der rus­si­schen Armee über­rannt wur­de. Juni begreift, dass es um viel mehr geht als um eine ver­heim­lich­te Lie­be. Und dass ihre Ent­de­ckun­gen Kon­se­quen­zen haben für ihr eige­nes Glück.
»Als Groß­mutter im Regen tanz­te« erzählt davon, wie uns die Ver­gan­gen­heit prägt bis in die Gene­ra­tio­nen der Töch­ter und Enke­lin­nen. Doch vor allem ist es eine Geschich­te über die hei­len­de Kraft der Liebe.

Die Geschich­te wird in zwei Zeit­ebe­nen aus der Sicht von Juni in der Gegen­wart und ihrer Groß­mutter Tek­la in der Ver­gan­gen­heit erzählt. Es ist eine ergrei­fen­de, emo­tio­na­le Fami­li­en­ge­schich­te, die zugleich auch Hin­ter­grund-infor­ma­tio­nen auf das Grau­en des Welt­krie­ges lie­fert. Die Autorin hat einen bewe­gen­den Lie­bes­ro­man aus der Nach­kriegs­zeit in Nor­we­gen und Deutsch­land und wie das Schick­sal auch die fol­gen­den Gene­ra­tio­nen prägt, geschrie­ben. Ein emp­feh­lens­wer­tes Buch.

E.L., Sand­hau­sen

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“Zur See” von Dörte Hansen

Woher kommt unse­re Lie­be zum Meer und die ewi­ge Sehn­sucht nach einer Insel?
Die Fäh­re braucht vom Fest­land eine Stun­de auf die klei­ne Nord­see­insel, manch­mal län­ger, je nach Wel­len­gang. Hier lebt in einem der zwei Dör­fer seit fast 300 Jah­ren die Fami­lie San­der. Drei Kin­der hat Han­ne groß­ge­zo­gen, ihr Mann hat die Fami­lie und die See­fahrt auf­ge­ge­ben. Nun hat ihr Ältes­ter sein Kapi­täns­pa­tent ver­lo­ren, ist gequält von Ahnun­gen und Flut­sta­tis­ti­ken und war­tet auf den schwers­ten aller Stür­me. Toch­ter Eske, die im Senio­ren­heim See­leu­te und Wit­wen pflegt, fürch­tet die Tou­ris­ten­strö­me mehr als das Was­ser, weil mit ihnen die Insel­kul­tur längst zur Folk­lo­re ver­kommt. Nur Hen­rik, der Jüngs­te, ist mit sich im Rei­nen. Er ist der ers­te Mann in der Fami­lie, den es nie auf ein Schiff gezo­gen hat, nur immer an den Strand, wo er Treib­gut sam­melt. Im Lau­fe eines Jah­res ver­än­dert sich das Leben der Fami­lie San­der von Grund auf, erst kaum spür­bar, dann mit vol­ler Wucht.
Klug und mit gro­ßer Wär­me erzählt Dör­te Han­sen vom Wan­del einer Insel­welt, von alten Geset­zen, die ihre Gül­tig­keit ver­lie­ren, und von Auf­bruch und Befreiung.

Wie unter einer Lupe mit feins­tem Sezier­be­steck zer­legt Dör­te Han­sen alle mit­ein­an­der ver­wo­be­nen Cha­rak­te­re in ihre Ein­zel­tei­le — von der oft rau­en, von Wind und Nord­see gegerb­ten, von der Insel­la­ge sozi­al gehär­te­ten Ober­flä­che bis in feins­te Ver­äs­te­lun­gen der Per­sön­lich­kei­ten. Mit prä­zi­sen, nie derb oder ein­fach daher­kom­men­den Ana­ly­sen legt sie Schicht um Schicht der See­len frei,  tun sich je nach Prot­ago­nist gefähr­li­che Untie­fen, unend­li­che Abgrün­de, see­li­sche Wüs­te­nei­en und schrof­fe Gebir­ge auf. Man gewinnt trotz — oder gera­de wegen? — die­ser mit Zunei­gung geschil­der­ten Ent­lar­vun­gen alle ihre Figu­ren lieb, ver­zeiht ihnen Unzu­läng­lich­kei­ten und Feh­ler, ver­steht, wie und war­um sie so sind und nicht anders sein kön­nen.  Bis Han­sen zum Ende, wie mit dem Holz­ham­mer, das Schick­sal zuschla­gen lässt. Der Leser, bis­wei­len amü­siert über die Schrul­lig­kei­ten der han­deln­den Per­so­nen, bleibt ver­stört zurück. 

Lud­wig K., Sandhausen

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Bücherflohmarkt

Einladung Bücherflohmarkt

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“Bilder eines Sommers” von Emily Mitchell

Eine rast­lo­se Frau – ein begna­de­ter Foto­graf – ein kur­zer Som­mer der Liebe

Paris, Anfang des zwan­zigs­ten Jahr­hun­derts: Der ame­ri­ka­ni­sche Maler und Foto­graf Edward Stei­chen kommt im Som­mer 1918 nach Frank­reich, um für die ame­ri­ka­ni­sche Armee die auf Paris vor­rü­cken­den deut­schen Stel­lun­gen aus der Luft zu foto­gra­fie­ren. Frank­reich ist für ihn vol­ler weh­mü­ti­ger Erin­ne­run­gen: Hier in Paris und, etwas außer­halb der Stadt, in einem Haus an der Mar­ne, hat­te er sei­ne ers­ten künst­le­ri­schen Erfol­ge. Hier war er Teil des lebens­lus­ti­gen Freun­des­krei­ses um Augus­te Rodin, Ger­tru­de Stein, Isa­do­ra Dun­can, Hen­ri Matis­se und Alfred Stieg­litz. Hier ver­brach­te er bis zum letz­ten Som­mer vor dem Krieg mit sei­ner Frau Cla­ra und ihren zwei Töch­tern eine wun­der­vol­le Zeit. Auch wenn es Cla­ra, die ihre eige­ne Kar­rie­re als Pia­nis­tin und Sän­ge­rin zuguns­ten ihrer Fami­lie und der künst­le­ri­schen Ent­fal­tung ihres Man­nes auf­ge­ge­ben hat­te, im Lau­fe der Jah­re immer schwe­rer fiel, die Frei­hei­ten, die Edward sich nahm, zu akzep­tie­ren. Als er nun von einem sei­ner ers­ten Auf­klä­rungs­flü­ge zurück­kommt, muss er erfah­ren, dass Cla­ra gegen die Male­rin Mari­on Beckett – einst eine enge Freun­din – in den USA einen Pro­zess ange­strengt hat: Sie wirft ihr vor, eine Affä­re mit Edward gehabt und ihre Ehe zer­stört zu haben …

Der Roman spielt in zwei Zeit­ebe­nen. In der einen Ebe­ne wird das grau­sa­me und unsin­ni­ge Töten auf den Schlacht­fel­dern des ers­ten Welt­kriegs ein­drucks­voll beschrie­ben. Die zwei­te Ebe­ne erzählt vom lang­sa­men Ver­fall einer Lie­be, die im Bruch einer Ehe mün­det und die Fami­lie zer­reißt. So trau­rig die Ereig­nis­se auch sind, von der Geschich­te wur­de ich fasziniert.

Armin B., Sandhausen

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“Nastjas Tränen” von Natascha Wodin

Als Nata­scha Wodin 1992 nach Ber­lin kommt, sucht sie jeman­den, der ihr beim Put­zen hilft. Sie gibt eine Annon­ce auf, und am Ende fällt die Wahl auf eine Frau aus der Ukrai­ne, dem Her­kunfts­land ihrer Mut­ter, die im Zwei­ten Welt­krieg als Zwangs­ar­bei­te­rin nach Deutsch­land ver­schleppt wur­de. Nast­ja, eine Tief­bau­in­ge­nieu­rin, konn­te nach dem Zusam­men­bruch der Sowjet­uni­on im wirt­schaft­li­chen Cha­os ihrer Hei­mat nicht mehr über­le­ben − ihr letz­tes Gehalt bekam sie in Form eines Säck­chens Reis aus­ge­zahlt. Da sie ihren klei­nen Enkel­sohn und sich selbst nicht län­ger ernäh­ren kann, steigt sie, auf etwas Ein­kom­men hof­fend, in einen Zug von Kiew nach Ber­lin. Dort gelingt es ihr, meh­re­re Putz­jobs zu fin­den, nach geta­ner Arbeit schläft sie auf dem Sofa ihrer Schwes­ter. Zu spät bemerkt sie, dass ihr Tou­ris­ten­vi­sum abge­lau­fen ist. Unver­se­hens schlit­tert sie in das Leben einer Ille­ga­len, wird Teil der rie­si­gen Dun­kel­zif­fer an Unter­ge­tauch­ten im Dickicht der neu­en, noch wild­wüch­si­gen deut­schen Hauptstadt.
Für Nata­scha Wodin ist es, als wür­de sie von ihrem Schick­sal erneut ein­ge­holt. Im Heim­weh die­ser Ukrai­ne­rin, mit der sie mehr und mehr eine Freund­schaft ver­bin­det, erkennt sie das Heim­weh ihrer Mut­ter wie­der, die dar­an früh zer­bro­chen ist. Jetzt, Jah­re spä­ter, zeich­net sie mit ver­hal­te­ner, tief anrüh­ren­der Poe­sie das Por­trät von Nast­ja, einer kämp­fe­ri­schen Frau.

Der Autorin gelingt es, uns auf beein­dru­ckend ein­fühl­sa­me Wei­se in die Lebens­welt von Migran­ten zu ent­füh­ren. Nast­ja sieht in ihrer Hei­mat, der Ukrai­ne, kei­ne Per­spek­ti­ve mehr. Sie macht sich auf den Weg nach Deutsch­land, um ihre Fami­lie in der Ukrai­ne zu unter­stüt­zen. Hier führt sie ein Leben in Zer­ris­sen­heit. Einer­seits das Leben in einem frei­en Land, ande­rer­seits die Sehn­sucht nach der fer­nen Hei­mat und ihrer Familie.
Trotz des trau­ri­gen The­mas habe ich das Buch mit Genuss gelesen.

Armin B., Sandhausen

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“Nacht der Bibliotheken” ein rundum gelungener Abend

Erst­mals betei­lig­te sich die Gemein­de­bi­blio­thek Sand­hau­sen, wie auch über hun­dert ande­re Biblio­the­ken in Baden-Würt­tem­berg, an der Akti­on „Nacht der Biblio­the­ken“. Das dies­jäh­ri­ge Mot­to lau­te­te „gren­zen­los“.
Wir, die Freun­de der Gemein­de­bi­blio­thek Sand­hau­sen e.V. wis­sen schon lan­ge, das die Biblio­thek mehr ist als ein Ort grenz­lo­sen Lese­ver­gnü­gens. An die­sem Abend war die Biblio­thek auch ein Ort der Begeg­nun­gen. Der Begeg­nung mit ver­schie­de­nen Spei­sen, Kul­tu­ren, aber auch der Ver­gan­gen­heit. Vor allem aber der Begeg­nung mit Menschen.

Fin­ger­food Buffet

Kuli­na­risch wur­den die Besu­cher vom öku­me­ni­schen Hel­fer­kreis ver­sorgt. Im Ange­bot waren die ver­schie­dens­ten Spei­sen aus den Her­kunfts­län­dern der Men­schen, die in Sand­hau­sen Zuflucht gefun­den haben. Herz­haf­tes Fin­ger­food und viel­fäl­ti­ge Süß­spei­sen, lie­be­voll zube­rei­tet wur­den kos­ten­los ange­bo­ten. Wer woll­te, durf­te ger­ne eine Spen­de in die bereit­ste­hen­den Spen­den­do­sen stecken.

 

 

Jun­ger San­to­or Spie­ler aus dem Iran

Ein jun­ger Mann aus dem Iran ver­wöhn­te die Ohren mit den Klän­gen tra­di­tio­nel­ler iran­scher Musik auf einer San­to­or. Ein Sai­ten­in­stru­ment das mit leich­ten Holz­schlä­geln gespielt wird. Kin­der und Erwach­se­ne waren glei­cher­ma­ßen von Bau­art und Klang des Instru­ments fasziniert.
Eben­falls aus dem Iran stamm­te die Künst­le­rin, die ihre Bil­der ausstellte.

 

 

Der Ver­kehrs- und Hei­mat­ver­ein zeig­te eine Bil­der­aus­stel­lung. Ansich­ten von Häu­sern, Stra­ßen und Land­schaft aus der Ver­gan­gen­heit und Heu­te. Dazu gab es fun­dier­te Aus­künf­te von Mit­glie­dern des Ver­eins, den Ken­nern Sand­häu­ser Geschich­te und Geschichten.
Kin­der ab 11 Jah­ren erfreu­ten sich im Ver­an­stal­tungs­raum der Biblio­thek bei einer Lesung des Kin­der- und Jugend­buch­au­tors Hans-Jür­gen Feld­haus. Wäh­rend der Lesung ließ er eini­ge sei­ner Cha­rak­te­re auf einem Flip­chart ent­ste­hen. Die gezeich­ne­ten Bil­der und auch mit­ge­brach­te Bücher wur­den im Anschluss vom Autor signiert.

Gro­ßen Zuspruch bei den Kin­dern und jung geblie­be­nen Erwach­se­nen fand auch das Lager­feu­er in einer Feu­er­scha­le im Hof vor der Biblio­thek. Hier konn­te Stock­brot geba­cken und Marsh­mal­lows in der Glut gegrillt wer­den. Ech­te Lager­feu­er­ro­man­tik, lei­der ohne fun­keln­den Sternenhimmel.

Bücher­kof­fer mit Büchern in Ukrainisch

Gro­ße Freu­de auch bei den Kin­dern aus der Ukrai­ne. Gab es doch einen Kof­fer vol­ler Bücher in Ukrai­nisch. Dar­un­ter auch eini­ge Kin­der- und Jugend­bü­cher, die zur Aus­lei­he bereit­la­gen. Hier­von wur­de direkt reger Gebrauch gemacht. Auch wur­den an dem Abend gleich meh­re­re Lese­aus­wei­se ausgestellt.

Am ein­drucks­volls­ten waren die Gesprä­che mit den Men­schen, die uns Ein­hei­mi­schen gegen­über sehr auf­ge­schlos­sen und aus­kunfts­freu­dig waren. Da waren die jun­gen Frau­en aus Syri­en und Afgha­ni­stan, die gemein­sam mit uns das Geschirr gespült haben. Sie berich­te­ten über ihre Begeg­nun­gen mit den Men­schen in Sand­hau­sen und an ihrem Arbeits­platz. Ihre gemein­sa­me Spra­che, mit der sie sich unter­ein­an­der ver­stän­dig­ten, war Deutsch. Sie spra­chen von der Will­kom­mens­kul­tur in ihren Hei­mat­län­dern, wo auch Frem­de, die an der Tür klop­fen, her­ein­ge­be­ten wer­den. Etwas, das sie bei uns ehr sel­ten erleben.
Mein Fazit aus die­sen Gesprä­chen: Die­se Men­schen sind eine Berei­che­rung für uns.

Bleibt noch Dan­ke zu sagen an die vie­len ehren­amt­li­chen Hel­fe­rin­nen und Hel­fer aus den Ver­ei­nen. Ein gro­ßes Lob und ein herz­li­ches Dan­ke­schön an die Mit­ar­bei­ter und Mit­ar­bei­te­rin­nen der Biblio­thek, die den Abend mit viel Enga­ge­ment und Herz­blut orga­ni­siert und vor­be­rei­tet haben.
DANKE

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“Die Jahre” von Annie Ernaux

Nobel­preis für Lite­ra­tur 2022

»Das Schwarz-Weiß-Foto eines Mäd­chens in dunk­lem Bade­an­zug auf einem Kie­sel­strand. Im Hin­ter­grund eine Steil­küs­te. Sie sitzt auf einem fla­chen Stein, die kräf­ti­gen Bei­ne aus­ge­streckt, die Arme auf den Fel­sen gestützt, die Augen geschlos­sen, den Kopf leicht zur Sei­te geneigt. Sie lächelt. Ein dicker brau­ner Zopf fällt ihr über die Schul­ter, der ande­re ver­schwin­det hin­ter ihrem Rücken. Offen­sicht­lich imi­tiert sie die Pose der Film­stars aus Ciné­mon­de oder aus der Wer­bung für Ambre-Solai­re-Son­nen­milch und will so ihrem demü­ti­gend unrei­fen Klein­mäd­chen­kör­per ent­flie­hen. Auf ihren Schen­keln und Ober­ar­men zeich­net sich der hel­le Abdruck eines Klei­des ab, ein Hin­weis dar­auf, dass ein Aus­flug ans Meer für die­ses Kind eine Sel­ten­heit ist. Der Strand ist men­schen­leer. Auf der Rück­sei­te: August 1949, Sotteville-sur-Mer.«

Kind­heit in der Nach­kriegs­zeit, Alge­ri­en­kri­se, die Kar­rie­re an der Uni­ver­si­tät, das Schrei­ben, eine pre­kä­re Ehe, die Mut­ter­schaft, de Gaul­le, das Jahr 1968, Krank­hei­ten und Ver­lus­te, die so genann­te Eman­zi­pa­ti­on der Frau, Frank­reich unter Mit­ter­rand, die Fol­gen der Glo­ba­li­sie­rung, die unein­ge­lös­ten Ver­hei­ßun­gen der Nuller­jah­re, das eige­ne Altern. Anhand von Foto­gra­fien, Erin­ne­run­gen und Auf­zeich­nun­gen, von Wör­tern, Melo­dien und Gegen­stän­den ver­ge­gen­wär­tigt Annie Ernaux die Jah­re, die ver­gan­gen sind. Und dabei schreibt sie ihr Leben – unser Leben, das Leben – in eine völ­lig neu­ar­ti­ge Erzähl­form ein, in eine kol­lek­ti­ve, »unper­sön­li­che Autobiographie«

Sehr schön. Ernaux erin­nert und reflek­tiert anhand von Foto­gra­fien und Video­schnip­seln die Zeit von Ihrer Geburt 1940 bis ins 21. Jahr­hun­dert. Das ist zum einen (stel­len­wei­se natür­lich sehr fran­zö­sisch gepräg­te) Zeit­rei­se, die an Lie­dern, Kon­sum­ge­gen­stän­den, Poli­ti­kern und Ereig­nis­sen vor­bei­führt. Dabei ist das ange­nehm ver­dich­te­te Buch kei­ne Zeit­ge­schich­te, vie­les wird über­sprun­gen oder nicht erwähnt, wenn es die Autorin nicht inter­es­siert. Zum ande­ren ist es aber auch eine sozio­lo­gi­sche Betrach­tung wie sich die Gesell­schaft, Bild und Rol­le der Frau, Kon­sum und Kon­sum­ver­hal­ten ent­wi­ckelt haben. Das liest sich extrem spannend.

Oli­ver S., Sandhausen

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“Ein Haus für viele Sommer” von Axel Hacke

Ein Haus im Süden, woan­ders sein und doch bei sich, das ist ein Traum, den vie­le träu­men. Wer aber dann wirk­lich so ein Haus hat, hat ande­re Träu­me, Träu­me von… ja, viel­leicht von Ferien?

Axel Hacke erzählt in “Ein Haus für vie­le Som­mer” von der Magie eines Ortes, an dem man eigent­lich nicht sein müss­te, aber doch unbe­dingt sein will. In sei­nen Geschich­ten geht es um die Men­schen auf einer Insel, um die Land­schaft dort, um Schlan­gen, Got­tes­an­be­te­rin­nen, Fakir­tau­ben, Zie­gen, Oli­ven und um einen Mann, der aus dem Ehe­bett her­aus ein Wild­schwein erschießt. Um Gedich­te, die an Stra­ßen­ecken hän­gen, und um die Geheim­nis­se eines alten Turms, den Tor­re, der für die, die ihn besit­zen und in den Feri­en bewoh­nen, Her­aus­for­de­run­gen bereit­hält, mit denen sie nicht gerech­net hat­ten. In die­sen Geschich­ten spürt man die Som­mer­hit­ze, den Sand unter den Füßen, die leich­te Bri­se auf dem Meer. Der Blick wan­dert über den Oli­ven­hain, er rich­tet sich auf den schöns­ten Son­nen­un­ter­gang der Welt und auf so selt­sa­me Fra­gen wie die, was man eigent­lich genau tut, wenn man nichts tut. Was sich ent­wi­ckeln kann, wenn man einen Urlaubs­ort nicht nur als Urlaubs­ort sieht, den man betritt und wie­der ver­lässt – als Erho­lungs­ku­lis­se also –, son­dern wenn man die­sen Ort ernst nimmt und zu ver­ste­hen ver­sucht, das macht die Magie die­ses Buchs aus, das in den Lesern noch lan­ge nachwirkt.

Vor vie­len Jah­ren kauf­te der Vater sei­ner Frau das Haus, bzw. den Turm „der Tor­re“ in den Axel Hacke mit sei­ner Fami­lie Jahr für Jahr in die Feri­en auf die Insel Elba fährt. Axel Hacke berich­tet in die­sem Buch über die Schön­heit der Insel, über die Men­schen, die dort woh­nen, über die Wid­rig­kei­ten mit den Hand­wer­kern, denn an dem Tor­re ist immer etwas zu repa­rie­ren. Ein Buch, das man nicht aus der Hand legen will. Es lohnt sich zu lesen

E.L., Sand­hau­sen

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“Putins Krieg” von Katrin Eigendorf

Kat­rin Eigen­dorf erzählt hier vom Krieg, den Putin mit aller Här­te führt, vor allem gegen die Bevöl­ke­rung. Von ihren Begeg­nun­gen mit Men­schen, die von einem Tag auf den ande­ren alles ver­lo­ren haben, von Fami­li­en, die zer­ris­sen wur­den, von Kin­dern, die ihre Kind­heit ver­lo­ren haben. Es sind Begeg­nun­gen, die immer wie­der an die Schmerz­gren­ze gehen, auch für eine Reporterin.
Sie hat den Beginn die­ser Ent­wick­lung bereits 2008 in Geor­gi­en erlebt, als der Kreml sei­ne Trup­pen nach Tbi­lis­si schick­te. Und 2014 in Donezk, Luhansk und Mariu­pol, als die rus­si­sche Armee nach der Krim auch den Osten der Ukrai­ne angriff und besetz­te. Krie­ge, die auch in Deutsch­land nicht ernst genug genom­men wurden.
Putins Nar­ra­tiv vom Krieg gegen eine faschis­ti­sche Regie­rung in Kyiw, vom Ein­tre­ten für Russ­lands Sicher­heit ist eine zyni­sche Lüge. Sein Krieg zeigt über­dies die gan­ze Schwä­che eines auto­ri­tä­ren Regimes. Ein Sys­tem, das Kin­der bom­bar­diert und Men­schen aus­hun­gert, das die Wahr­heit nicht dul­det, ist geschei­tert. Noch nie war es Kat­rin Eigen­dorf wich­ti­ger, vor Ort zu sein und zu zei­gen, wor­um es in der Ukrai­ne wirk­lich geht: um den Kampf eines Vol­kes für Frei­heit und Demo­kra­tie — auch in Europa.

Die Kor­re­spon­den­tin berich­tet sehr ein­drück­lich von Ihren Recher­chen und Inter­views, die Sie 2014 und 2022 in der Ukrai­ne gemacht hat. Das Buch zeigt deut­li­cher als die kur­zen Ein­spie­lun­gen im Fern­se­hen das gro­ße Leid und Unrecht, das der Krieg Putins über die Men­schen gebracht hat. Ein beein­dru­cken­der Appell, die Men­schen in der Ukrai­ne bei ihrem Kampf gegen das Unrecht zu unterstützen.

Armin B., Sandhausen

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“Die Ukraine und wir” von Sabine Adler

»Sel­ten tref­fen lang­jäh­ri­ge Kennt­nis vor Ort und Ver­traut­heit mit der Geschich­te des Schau­plat­zes so sehr auf­ein­an­der wie in Sabi­ne Adlers Ukrai­ne-Buch. Beson­ders für das deut­sche Publi­kum eine längst fäl­li­ge Lek­tü­re!« Karl Schlögel

Der Krieg in der Ukrai­ne stellt das poli­ti­sche und wirt­schaft­li­che Han­deln Deutsch­lands auf den Prüf­stand. Jahr­zehn­te­lang wur­de über den zweit­größ­ten Staat Euro­pas hin­weg­ge­schaut und Russ­land hofiert. Mit fata­len Fol­gen. Deutsch­land hat ver­sagt, kon­sta­tiert die Ost­eu­ro­pa-Exper­tin Sabi­ne Adler. Ihre Ana­ly­se nimmt nicht nur die Ukrai­ne und den aktu­el­len Krieg in den Blick, son­dern vor allem Deutsch­lands Rol­le — wirt­schaft­lich, poli­tisch, medi­al — in Bezug auf das von Russ­land über­fal­le­ne Land. Als lang­jäh­ri­ge und hell­sich­ti­ge Beob­ach­te­rin zieht sie eine kri­ti­sche Bilanz: poli­ti­sche Ver­säum­nis­se, Lob­by­is­mus, Dop­pel­mo­ral und ein ver­lo­ge­ner Pazi­fis­mus waren über wei­te Stre­cken bestim­mend. Zeit, dar­aus zu ler­nen und einen radi­ka­len Kurs­wech­sel einzuleiten!

Was wuss­te ich bis­her von der Ukrai­ne? ‑Wenig-

Die Autorin schil­dert die lang­jäh­ri­ge Unter­drü­ckung der Ukrai­ner vom Zaren­reich über den Nazi­ter­ror, den Exzes­sen unter Sta­lin bis zum aktu­el­len Angriff durch Russ­land. Sie zeigt das Ver­sa­gen deut­scher und west­li­cher Poli­tik und plä­diert für ent­schie­de­ne Hil­fe für die Ukrai­ne und ihre Bevöl­ke­rung. Stö­rend emp­fand ich den manch­mal ober­leh­rer­haf­ten, beleh­ren­den Ton.

Armin B., Sandhausen

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