Sechzehn Jahre nach seinem Weltbestseller Die Straße kehrt Pulitzer-Preisträger Cormac McCarthy zurück mit seinem zweibändigen Meisterwerk. Der Passagier und Stella Maris: Zwei Romane ohne Vorbild. Die Wahrheit des einen negiert die des anderen.
1972, Black River Falls, Wisconsin: Alicia Western, zwanzig Jahre alt, lässt sich mit vierzigtausend Dollar in einer Plastiktüte und einem manifesten Todeswunsch in die Psychiatrie einweisen. Die Diagnose der genialen jungen Mathematikerin und virtuosen Violinistin: paranoide Schizophrenie. Über ihren Bruder Bobby spricht sie nicht. Stattdessen denkt sie über Wahnsinn nach, über das menschliche Beharren auf einer gemeinsamen Welterfahrung, über ihre Kindheit, in der ihre Großmutter um sie fürchtete – oder sie fürchtete? Alicias Denken kreist um die Schnittstellen zwischen Physik, Philosophie, Kunst, um das Wesen der Sprache. Und sie ringt mit ihren selbstgerufenen Geistern, grotesken Chimären, die nur sie sehen und hören kann. Die Protokolle der Gespräche mit ihrem Psychiater zeigen ein Genie, das an der Unüberwindbarkeit der Erkenntnisgrenzen wahnsinnig wird, weder im Reich des Spirituellen noch in einer unmöglichen Liebe Erlösung findet und unsere Vorstellungen von Gott, Wahrheit und Existenz radikal infrage stellt.
Ein eher kammerspielartiges Setting, die Aufzeichnung von Gesprächen einer jungen Frau mit ihrem Psychiater. Wobei die junge Frau deutlich mehr die Kontrolle hat und mit sehr reflektierten und durchdachten Ansichten über mehr oder weniger Alles fast eine eigene Metaphysik entwickelt. Das macht Spaß und regt zum Nachdenken an. Die äußere Handlung hat McCarthy in den (deutlich dickeren) Zwillingsroman ausgelagert. Lange nicht so düster wie McCarthys Dystopie „Die Straße“ aber doch bedrohlicher.
Oliver S., Sandhausen