Sie wollen das perfekte Paar sein, Kinder und Beruf unter einen Hut bringen, alles irgendwie richtig machen. Und sie finden die ideale Nanny, die ihnen das alles erst möglich macht. Doch wie gut kann man einen fremden Menschen kennen? Und wie sehr kann man ihm vertrauen?
Sie haben Glück gehabt, denken sich Myriam und Paul, als sie Louise einstellen — eine Nanny wie aus dem Bilderbuch, die auf ihre beiden kleinen Kinder aufpasst, in der schönen Pariser Altbauwohnung im 10. Arrondissement. Wie mit unsichtbaren Fäden hält Louise die Familie zusammen, ebenso unbemerkt wie mächtig. In wenigen Wochen schon ist sie unentbehrlich geworden. Myriam und Paul ahnen nichts von den Abgründen und von der Verletzlichkeit der Frau, der sie das Kostbarste anvertrauen, das sie besitzen. Von der tiefen Einsamkeit, in der sich die fünfzigjährige Frau zu verlieren droht. Bis eines Tages die Tragödie über die kleine Familie hereinbricht. Ebenso unaufhaltsam wie schrecklich.
Habe ich zufällig in der Bibliothek gesehen (ein Hoch auf das Stöbern vor Ort!). Klar geschrieben (im Allgemeinen kurze, einfache aber packende Sätze, nur sporadisch von längeren Erklärungen unterbrochen, hat der Stil etwas kontemplatives, nahe an den französischen Existenzialisten). Beschrieben werden die aktuellen Lebenssituationen einer jungen „Karrierefrau“ und einer alternden Nanny. Sehr ergreifend ist das Denken und Empfinden der beiden so unterschiedlichen und weit entfernten aber dann doch aneinander gebundenen Frauen geschildert. Dabei wird vor allem packend schön die Not der jungen Mutter erklärt, die sich erst über ihre Mutterschaft definiert, dann aber feststellt, dass sie das nicht ausfüllt. Das folgende Dilemma, dass die Gesellschaft eigentlich erwartet, dass eine Frau sowohl voll Mutter als auch voll eigenständige Persönlichkeit mit Beruf und Auftrag ist, das offensichtlich nicht auflösbar und vor allem unfair ist, führt dann erst die beiden „Mütter“ zusammen und dann in die Katastrophe. Auch die Rolle der Kinder, wie sie ihre Eltern „versklaven“, wird schön ausgearbeitet.
Könnte ich noch viel zu nachdenken.
Oliver S., Sandhausen